Die Welt im Bundestag: Außenpolitische Arbeit in Zeiten globaler Krisen

Als ich 2013 für meinen Stuttgarter Wahlkreis in den Bundestag einzog, ahnte ich nicht, welche Brisanz globale Entwicklungen in dieser Legislaturperiode entfalten würden. Im Dezember 2013 stand ich dann plötzlich mit meiner Kollegin Marieluise Beck auf dem Maidan in Kiew. Weder wussten wir, dass auf die friedlichen Proteste in der Ukraine ein jahrelanger Bürgerkrieg, die Besetzung der Krim durch Russland und damit eine neue Eiszeit zwischen Moskau und dem Westen folgen würden. Noch ahnten wir, dass die Krim nur der Auftakt zu einem Anlauf Moskaus sein würde, auf der internationalen Bühne wieder Großmachtstärke zu demonstrieren. Bald folgten der russische Schulterschluss mit dem diktatorischen Regime in Damaskus, das seit 2011 Krieg gegen das eigene Land führt. Zu einem Wladimir Putin hat sich im Jahr 2019 international auch ein Donald Trump gesellt, ein Jair Bolsonaro, ein Recep Tayyip Erdogan. In immer mehr Ländern greifen Rechtspopulisten nach der Macht und greifen nicht nur die offenen Gesellschaften in ihren Ländern an, sondern gehen auch respektlos mit Umwelt, Natur und Klima um. Sie eint ein nationalistischer Egoismus, der für globale Zusammenarbeit wenig übrig hat.

In der Fraktion und in unserem fachpolitischen Arbeitskreis für Internationale Politik und Menschenrechte ringen wir um Lösungen oder zumindest Hoffnungsschimmer für die großen Krisen unserer Zeit. Die Europäische Union ist durch das Brexit-Chaos sowie einzelne Regierungen geschwächt, die ein fragwürdiges Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit pflegen. Dialog ist stets Voraussetzung und Grundlage für eine Zusammenarbeit. Genauso wie man mit Russland im Gespräch sein muss, wenn man Frieden in der Ukraine und in Syrien schaffen möchte, ist es auch wichtig, mit der Türkei zu reden. Sie ist das wichtigste Aufnahme- und Transitland für syrische Flüchtlinge. Doch zugleich entfernt sich das Land leider immer stärker von der Europäischen Union und auch der NATO. Demokratie und Menschenrechte werden permanent mit den Füßen getreten, der kritischen Opposition im Land die Luft abgedreht. Ich sage klar: die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei darf nicht auf Kosten unserer Werte und Überzeugungen passieren. Wir müssen fest an der Seite der Demokratinnen und Demokraten in der Türkei stehen.

Armenienresolution: Aufarbeitung von Völkermorden in der politischen Bildung verankern

Menschenrechtsarbeit fängt vor unserer Haustüre an. Deshalb freue ich mich, dass der Bundestag 2016 endlich den Völkermord an den Armeniern anerkannt hat – und hierbei vor allem die deutsche Mitschuld. Denn das Deutsche Kaiserreich war als enger Verbündeter des Osmanischen Reichs genau über den Völkermord informiert und hat diesen bewusst gebilligt. Der Völkermord an den Armeniern ist also auch ein leidvolles Kapitel deutscher Geschichte. Genau deshalb ist das Parlament auch der richtige Ort dafür, um sich diesem Teil unserer Geschichte zu stellen. Nach drei Parlamentsdebatten und langen Verhandlungen, die sich über ein Jahr hinzogen, hat der Bundestag am 2. Juni 2016 mit überwältigender Mehrheit die so genannte Armenienresolution verabschiedet.

Doch es liegt noch viel Arbeit vor uns. Die negativen Reaktionen, bis hin zu Hass und Gewaltdrohungen, haben gezeigt, dass es noch viel zu tun gibt. Der nächste Schritt sollte nun sein, den Völkermord an den Armeniern in die politische Bildung rund um das Thema Menschenrechte zu integrieren. Wir sollten ihn zu einem festen Bestandteil unserer Lehrpläne machen. Das geht nur, wenn unsere Lehrerinnen und Lehrer an den Unis eine entsprechende Ausbildung erhalten. Das bedeutet auch, dass wir mehr Mittel für die Lehre und Forschung zu diesen Themen brauchen.

Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 war übrigens nicht der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Diesen furchtbaren Titel trägt der Völkermord an den Herero und Nama 1904-1908 in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Hier war das Deutsche Kaiserreich nicht nur Mittäter, sondern hauptverantwortlich. Die Anerkennung dieses Völkermords durch den Deutschen Bundestag ist längst überfällig. Neben dem Holocaust müssen an unseren Schulen und Universitäten auch die Völkermorde an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich sowie an Herero und Nama fester Bestandteil der Lehrpläne und Curricula werden. Es geht darum, sich offen der Geschichte zu stellen, sich daran zu erinnern und aus ihr zu lernen – um künftiges Unrecht zu verhindern und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.