Krokodile und sympathischere Tiere

Bereits in der ersten Klasse sollte ich sitzenbleiben. Ein Referendar überredete die Lehrerin gerade noch so, mich zu versetzen. Bei meinen Eltern reichten die Deutschkenntnisse nicht aus, um solch ein Gespräch zu führen. In der zweiten Klasse teilte uns dann die Lehrerin nach Leistung ein. Ich war bei den Leistungsschwächsten, den Krokodilen. Kein sonderlich sympathisches Tier. Die anderen Gruppen hatten deutlich nettere Tiernamen abbekommen.
An unserem Krokodils-Tisch saßen von da an neben mir ein portugiesischer Junge und deutsche Arbeiterkinder. Die Lehrerin sagte uns zwar, dass wir uns in die anderen Gruppen hocharbeiten könnten. Aber das hat keiner geschafft. Offenbar galt: Einmal Krokodil, immer Krokodil. Mit den anderen Kindern konnten wir nicht mithalten.

Unsere Eltern konnten uns auch nicht bei den Hausaufgaben helfen. Oder es fehlte ihnen die Kenntnis darüber, wie das deutsche Schulsystem funktioniert. So kam es, dass man schon als Kind automatisch separiert wurde (und leider immer noch wird), nur weil man aus einer bestimmten Familie kam. Das hat sich mir tief eingeprägt. Noch heute treibt mich das bei meinem Einsatz für mehr Chancengerechtigkeit an. Der Bildungserfolg darf nicht davon abhängen, aus welchen Verhältnissen ein Kind kommt. Das gilt für alle Arbeiterkinder, ganz gleich ob mit oder ohne Migrationsgeschichte. Da moralische Argumente in dieser Sache nicht jeden überzeugen, sei gesagt: Wir schaden nicht nur den Kindern, wenn wir sie zurücklassen – wir schaden auch dem Gemeinwohl, wenn diese Kinder später nicht ein selbstbestimmtes Leben führen können.